Die Jam ist ein gemeinschaftlich gestalteter Raum von Tanz, Kunst, Akrobatik, Bewegung und Begegnung sowie dem Unerwarteten, dem leeren Raum. Sie fordert Achtsamkeit genauso wie Mut, sich einzubringen und gibt Freiraum zur Entfaltung wie auch Rückzug. Auf der Jam möchte ich eine Kultur der Achtsamkeit und der Rücksichtnahme, des Respektes vor dem Anderssein und dem Mut anders zu sein, des Einverständnisses und des sich Zumutens leben. Auf der Jam praktizieren wir Contact Improvisation. Was das genau beinhaltet ergibt sich aus dem Moment. Für mich ist für diese Freiheit der Gestaltung ein Bewusstsein, woher dieser Tanz kommt, seine Geschichte und seine Entwicklung sowie eine persönliche Praxis der Contact Improvisation die Grundlage.
2019-10 Wenn in einer Klasse nach Übungen oder dem Ausprobieren eine längere Phase des Tanzens folgt, beobachte ich manchmal vornehme Zurückhaltung bei den Tanzenden. Ob aus Unsicherheit, dem Bedürfnis es richtig oder recht zu machen, oder dem noch nachwirkenden geistigen Verdauen, sei dahingestellt. Ich lade dann in die Unmittelbarkeit und die Direktheit ein: Ich ermutige die Tänzer.innen, sich nicht zurückzuhalten noch mehr noch „sich zuzumuten“. Mute dich zu: der Welt, den Menschen, deiner Tanzpartnerin, schließlich dir selbst! Halte dich nicht zurück in deinen spontanen Impulsen, in deinen Unsicherheit. Mute dich dem Moment zu, mute dich dem Unbekannten zu, mute dir selbst das Unbekannte zu. „Mute dich zu!“ rufe ich ihnen zu. Du sollst dich nicht vorenthalten. – Diese Formel finde ich später in einem Buch zu Gemeinschaftsbildung. Sie stammt von Martin Buber und bleibt mir hängen, Echo meiner Aufforderung sich zuzumuten. Er schrieb 1919 in einem Essay: „Uralter Wust und Mulm ist zwischen Mensch und Mensch gehäuft. Sinngeborne Form entartet zu Konvention, Ehrfurcht zu Mißtrauen, Keuschheit der Mitteilung zu geizender Verschlossenheit. Mitunter tappen die Menschen im bangen Rausch auf einander zu – und verfehlen sich, denn der Mulmhaufe ist zwischen ihnen. Räumt ihn hinweg, du und du und du! Stellet Unmittelbarkeit, aus dem Sinn formende, ehrfürchtige, keusche Unmittelbarkeit zwischen den Menschen her! Du sollst dich nicht vorenthalten.“ Und wiederholt dieses Mantra mehrfach in jenem Text (unter dem Titel „Was ist zu tun?“). Verstand es vor allem als sittlichen Aufruf, sich einzubringen, und als Aufruf in den Dialog, die „ich-du“ Beziehung zu gehen (so meine Deutung). Hier bedeutet es für mich das gleiche: zeige dich mit deinem ganze jetzt-so-Sein, laß es Ausdruck in Bewegung, Kraft und Spiel finden! CI kann für mich diese Unmittelbarkeit zwischen Menschen, zwischen mir und meiner momentanen, flüchtigen wie auch massiven Wirklichkeit, zwischen unseren Wirklichkeiten immer wieder ermöglich und aktualisieren. Welch‘ Geschenk und Forderung!
2019-09 Eine der besonderen Qualitäten, die ich im Tanz schätze und auch versuche im Unterricht zu vermitteln ist: jederzeit die Spannung in Bezug auf Intensität sowie Richtung und Entfernung zur Körpermitte hin modulieren zu können. Um so im Moment zu spüren: wie ich selbst ausgerichtet bin, wie meine Tanzpartner.in und wie wir im Bezug Raum und Boden sind. Und um reagieren zu können: stabil werden oder nachgeben, Absichten weiter verfolgen oder wieder loslassen, Richtungen während der Bewegung anpassen. Um Spannung aufzubauen und stabil zu werden: nur ganz in der Peripherie, näher zum Zentrum oder durch das Zentrum in den Boden. Um sich bewegen zu lassen, den eigenen Körper mit zu bewegen oder sich zu gründen, um Gewicht aufzunehmen. In der Bewegung bleibt möglichst viel losgelassen und weich, spürsam und beweglich. Gliedmaßen sind mehr Antennen und Schwungmasse als Struktur. Und können sich immer, wenn nötig anspannen, Struktur schaffen und bieten. Bewegen… Berühren, Bewerten, Belasten/Belassen, Bewegen… Steve Paxton (1977): „Tension in the muscle masks the sensation of gravity…“ Heike Pourian (2016): “Handeln und Spüren zugleich.”