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Verbundenheit – ein leibliches Phänomen

Auszug aus einem Artikel, erschienen in „Scheidewege – Jahresschrift für skeptisches Denken“

Contact Improvisation ist eine Tanzform, in der sich zwei oder mehr Tänzer einander an beliebigen Stellen des Körpers berühren und dabei lehnen und Gewicht teilen können. Zu den Grundprinzipien zählen die aufmerksame Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Umgebung, der achtsame Kontakt im Miteinander und die Integration der physikalischen Kräfte. Das Erforschen von Flieh- und Schwerkräften in der Bewegung eröffnet eine Vielfalt und Dynamik im Tanz: Balance, Fallen, Rollen, Gleiten, Heben, am Boden oder in der Luft. Jede Bewegung entsteht unmittelbar aus der vorangegangenen – improvisiert und orientiert am gemeinsamen Kontaktpunkt. Es gibt weder Schrittfolgen, noch feste Rollen zwischen den Tanzenden. Die Fragen, ob, wo und wieviel berührt wird, wann genau der Tanz beginnt und wann er endet, bleiben immer ein Stück weit offen und werden in actu miteinander ausgehandelt. Gerade dieser Mangel an Festlegungen fordert eine ständige Wachheit für den Moment. Wo – innerhalb eines vereinbarten Rahmens – nichts klar ist, braucht es meine ständige Aufmerksamkeit, um mich zu verorten, zu beziehen und reagieren zu können. In der Contact Improvisation begegne ich anderen Tänzern jenseits der Worte und doch ist es ein Gespräch, in dem wir uns austauschen, etwas voneinander erfahren, Einvernehmen möglich ist und Missverstehen, Aneinander vorbeireden wie auch gelungener Austausch.

Klarheit für den Beginn des Tanzes schafft eine Berührung, ein beliebiger Teil meines Körpers berührt irgendeinen anderen meiner Tanzpartnerin und in diesem Moment fordert der Kontaktpunkt alle Aufmerksamkeit: Was erfahre ich von ihr, von ihrer Körperspannung, ihrer Struktur und ihrer Bewegungsrichtung? Was sende ich aus? Die Berührung reicht durch viele Schichten: die Haare an der Hautoberfläche geben erste Signale, die Haut vermittelt Haften oder Gleiten, Klarheit oder Unschlüssigkeit, Wärme und Weichheit, das Bindegewebe und die Muskeln vermitteln Spannung und Intention, Offenheit und Bereitschaft, die Knochen schließlich geben Auskunft über die Passung der Körper an dieser Stelle: Welche Strukturen kommen hier in Kontakt, wieviel Kraft kann hier übertragen werden, welche Bewegungsentwicklungen sind wahrscheinlicher, sind anatomisch möglich? In dieser körperlichen Begegnung offenbart sich mein Zustand ungefiltert, meine Anspannungen werden spürbar und meine Zurückhaltung ebenso wie meine Bereitschaft mich einzulassen. Ich werde für die Andere spürbar. Und das genau so, wie ich gerade in dieser Begegnung bin. Am Du werde ich zum Ich [1] (Martin Buber). In der Beziehung offenbart sich für uns beide, wer wir jetzt jeweilig sind. Die Begegnung zwingt mich anwesend zu sein und zwar als Berührender und als Berührter. „Vom Anderen berührt werden heißt daher, in einer elementaren Weise von ihm erkannt zu sein und sich selbst zu erkennen. Im »Kontakt« mit dem Anderen werden wir einander nicht nur im körperlichen, sondern im personalen Sinn wirklich.“ [2]

Ich nehme von meiner Partnerin vielfältige Informationen auf, ich könnte versuchen, sie einzeln zu benennen und doch ist vorher schon ein Bild in Gänze da: das von ihrer Leiblichkeit zu dem mein Leib in Resonanz geht. Mein Leib zeigt sich empathisch für den anderen Menschen und seiner Körperlichkeit, schwingt ein und erlaubt ein unmittelbares Verständnis von der körperlichen Beschaffenheit, der anatomischen Struktur und auch wie der Körper gestimmt ist. Ich spüre meine Tanzpartnerin am eigenen Leib. Wir sind verflochten in einem „wechselseitigen leiblichen Spüren und Umbilden“, schwingen in einer „zwischenleiblichen Resonanz“. [3]

Es bildet sich ein labiles Gleichgewicht, in dem sich die Körperspannungen annähern, die Nähe bestimmt ist, die Aufmerksamkeit fokussiert – und doch ist es kein Verharren, sondern ein Spüren, ein Lauschen auf das was passiert. Bleibt es bebende Stille oder ist schon der nächste Moment voller Bewegung? In dem Punkt der Berührung kulminiert die Wahrnehmung, doch geht die Beeinflussung durch alle Zellen: alle Gelenke zwischen Boden und Partnerin ermöglichen den Kontakt und fragen schon nach der weiteren Entwicklung, die abgewandte Körperseite bildet die Balance, jede Muskelfaser nimmt die Spannung oder Entspannung an, die vom Kontakt ausgeht. Und so geschieht die Improvisation, die nichts anderes ist als Spontaneität: das Fließen lassen im Wirkungsfeld des anderen Leibes.

Vordergründig bestimmen physikalische Kräfte den Tanz: eine leichte Regung, schon ändert sich der Schwerpunkt, ich korrigiere meine Haltung, und so auch meine Tanzpartnerin. Und so flieht der Schwerpunkt weiter und jede Bewegung fordert eine Anpassung, eine neue Bewegung und das Spiel ist, ob im Kleinen oder Großen, sofort im Gange. Je länger dieses Spiel geht und je mehr wir uns darauf einlassen, desto mehr dehnen sich unsere Körperschemata aufeinander aus. Wie bei meinem eigenen Körper habe ich durch die Berührung und Bewegung eine Vorstellung des Schemas meiner Partnerin. Auch wenn ich sie nicht sehe, habe ich stets eine Ahnung wo und wie ihr Körper im Raum und zu mir steht und sich bewegt. Diese Ahnung ist unmittelbar leiblich abrufbar. So wie ich meinen Körper unvermittelt erlebe, erlebe ich ihren Körper in der Bewegung gleichsam mit. Dies wird insbesondere beim Fehlgehen der Ahnung anschaulich: Wenn dort Leere ist, statt des erwarteten Arms, oder wenn am Ende einer streichenden Bewegung nicht der Torso, sondern die Hand spürbar wird, bin ich irritiert. Meine Aufmerksamkeit geht aus dem Spüren in das Denken, aus der verleiblichten Wahrnehmung in die Kognition und ihr Körper fällt aus meinem Spürbewusstsein heraus – bis durch neue Orientierung und Gewöhnung ihr Schema wieder integriert wird und die Wahrnehmung ihres Körpers wieder in die Tiefe meines leiblichen Verstehens sinken kann.

Je mehr dieses Vertrautsein der Körper wächst, desto mehr wird es ein leibliches Vertrautsein. Meine bewusste Aufmerksamkeit kann von der Ebene der Raumkoordination und der Bewegungsdynamik tiefer gehen zur Wahrnehmung des lebendigen Leibes, des Menschen. In ihrer Leiblichkeit erlebe ich meine Tanzpartnerin auf subtile Weise ganzheitlich. Ihre Leben ist eingeschrieben in ihren Körper und vielmehr noch in die Landschaft von Anspannung und Entspannung, von Bewegungsgewohnheiten spontanen Impulsen und Reaktionen. So wie ihr Leib biographisch geformt ist, drückt er sich auch im Hier und Jetzt aus. Und ebenso bei mir. In diesem Prozess der „Wechselwirkung von leiblichem Ausdruck, Gestik und affektiver Resonanz“ [4] begegnen wir uns subtil und notwendig authentisch, geraten in eine leibliches Mitschwingen: ein sich Zeigen und gleichzeitig sich Einschwingen und im Kontakt verändern. Ich bin nicht mehr der, der ich noch eben war und bin umso mehr ich, als ich mich in der Beziehung anrühren lasse. „Wer in der Beziehung steht, nimmt an einer Wirklichkeit teil, das heißt: an einem Sein, das nicht bloß an ihm und nicht bloß außer ihm ist.“ [5] Ich stehe in einer Verbindung in der ich leibe und dem gegenüber ein Du leibt [6]. Wer ist dieser Mensch, wer bin ich in dieser Beziehung? Eine Frage, die ihre Antwort findet im Befragen, im Lauschen, im Sich-Zeigen!

Dieses Sich-Zeigen und auf die Beziehung lauschen geschieht im kleinen Moment des Jetzt – Bewegungen, fein oder grob, schnell oder langsam, fordern auf, mit der Wahrnehmung im Moment zu bleiben. Je mehr der eigene Körper und der gemeinsame Körper – verbunden durch Blick, Gehör und Berührung – selbstverständlich werden, also in eine vorbewusste Verfügbarkeit gleiten, gleichsam zuhanden (Heidegger) und damit transparent und unauffällig werden, desto mehr kann die Wahrnehmung anderweitig fließen. Gedanken können in die Umwelt oder nach innen abschweifen – doch ebenso in die Beziehung: in die Befragung der Begegnung. Dort wo wir eine Ahnung des gemeinsamen Körperschemas teilen, wir einander unmittelbar am eigenen Leib erfahren, und die Aufmerksamkeit auf das Zwischen-Uns gerichtet ist, geschieht Verbundenheit. Hier „fungiert der Körper als Medium der emotionalen Wahrnehmung“ [7] und der Tanz, die Gewöhnung aneinander, das Spüren und Handeln im Kontakt können den Raum zwischen uns dafür öffnen. Wer ist meine Tanzpartnerin? Eine offene Frage, die in ihrer Offenheit fesselnd und befreiend zugleich ist. „Der Zweck der Beziehung ist ihr eigenes Wesen, das ist: die Berührung des Du. Denn durch die Berührung jedes Du rührt ein Hauch des ewigen Lebens uns an.“ [8]

1 Martin Buber (1923) Ich und Du. Reclam (2008): S. 12 und S. 28.
2 Thomas Fuchs (2000) Leib, Raum, Person: Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie. Klett-Cotta S. 114.
3 Fuchs: S. 246.
4 Thomas Fuchs (2018) Zwischenleibliche Resonanz und Interaffektivität. Psychodynamische Psychotherapie, 4, S. 211.
5 Buber: S. 61.
6 Buber: S. 13.
7 Thomas Fuchs (2014) Verkörperte Emotionen – Wie Gefühl und Leib zusammenhängen. Psychologische Medizin 25.
8 Buber: S. 61.
von Frederic Holzwarth 15 Apr., 2020
Contact Improvisation ist eine Tanzform, in der sich zwei oder mehr Tänzer einander an beliebigen Stellen des Körpers berühren und dabei lehnen und Gewicht teilen können. Zu den Grundprinzipien zählen die aufmerksame Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Umgebung, der achtsame Kontakt im Miteinander und die Integration der physikalischen Kräfte. Das Erforschen von Flieh- und Schwerkräften in der Bewegung eröffnet eine Vielfalt und Dynamik im Tanz: Balance, Fallen, Rollen, Gleiten, Heben, am Boden oder in der Luft. Jede Bewegung entsteht unmittelbar aus der vorangegangenen – improvisiert und orientiert am gemeinsamen Kontaktpunkt. Es gibt weder Schrittfolgen, noch feste Rollen zwischen den Tanzenden. Die Fragen, ob, wo und wieviel berührt wird, wann genau der Tanz beginnt und wann er endet, bleiben immer ein Stück weit offen und werden in actu miteinander ausgehandelt. Gerade dieser Mangel an Festlegungen fordert eine ständige Wachheit für den Moment. Wo – innerhalb eines vereinbarten Rahmens – nichts klar ist, braucht es meine ständige Aufmerksamkeit, um mich zu verorten, zu beziehen und reagieren zu können. In der Contact Improvisation begegne ich anderen Tänzern jenseits der Worte und doch ist es ein Gespräch, in dem wir uns austauschen, etwas voneinander erfahren, Einvernehmen möglich ist und Missverstehen, Aneinander vorbeireden wie auch gelungener Austausch. Klarheit für den Beginn des Tanzes schafft eine Berührung, ein beliebiger Teil meines Körpers berührt irgendeinen anderen meiner Tanzpartnerin und in diesem Moment fordert der Kontaktpunkt alle Aufmerksamkeit: Was erfahre ich von ihr, von ihrer Körperspannung, ihrer Struktur und ihrer Bewegungsrichtung? Was sende ich aus? Die Berührung reicht durch viele Schichten: die Haare an der Hautoberfläche geben erste Signale, die Haut vermittelt Haften oder Gleiten, Klarheit oder Unschlüssigkeit, Wärme und Weichheit, das Bindegewebe und die Muskeln vermitteln Spannung und Intention, Offenheit und Bereitschaft, die Knochen schließlich geben Auskunft über die Passung der Körper an dieser Stelle: Welche Strukturen kommen hier in Kontakt, wieviel Kraft kann hier übertragen werden, welche Bewegungsentwicklungen sind wahrscheinlicher, sind anatomisch möglich? In dieser körperlichen Begegnung offenbart sich mein Zustand ungefiltert, meine Anspannungen werden spürbar und meine Zurückhaltung ebenso wie meine Bereitschaft mich einzulassen. Ich werde für die Andere spürbar. Und das genau so, wie ich gerade in dieser Begegnung bin. Am Du werde ich zum Ich [1] (Martin Buber). In der Beziehung offenbart sich für uns beide, wer wir jetzt jeweilig sind. Die Begegnung zwingt mich anwesend zu sein und zwar als Berührender und als Berührter. „Vom Anderen berührt werden heißt daher, in einer elementaren Weise von ihm erkannt zu sein und sich selbst zu erkennen. Im »Kontakt« mit dem Anderen werden wir einander nicht nur im körperlichen, sondern im personalen Sinn wirklich.“ [2] Ich nehme von meiner Partnerin vielfältige Informationen auf, ich könnte versuchen, sie einzeln zu benennen und doch ist vorher schon ein Bild in Gänze da: das von ihrer Leiblichkeit zu dem mein Leib in Resonanz geht. Mein Leib zeigt sich empathisch für den anderen Menschen und seiner Körperlichkeit, schwingt ein und erlaubt ein unmittelbares Verständnis von der körperlichen Beschaffenheit, der anatomischen Struktur und auch wie der Körper gestimmt ist. Ich spüre meine Tanzpartnerin am eigenen Leib. Wir sind verflochten in einem „wechselseitigen leiblichen Spüren und Umbilden“, schwingen in einer „ zwischenleiblichen Resonanz “. [3] Es bildet sich ein labiles Gleichgewicht, in dem sich die Körperspannungen annähern, die Nähe bestimmt ist, die Aufmerksamkeit fokussiert – und doch ist es kein Verharren, sondern ein Spüren, ein Lauschen auf das was passiert. Bleibt es bebende Stille oder ist schon der nächste Moment voller Bewegung? In dem Punkt der Berührung kulminiert die Wahrnehmung, doch geht die Beeinflussung durch alle Zellen: alle Gelenke zwischen Boden und Partnerin ermöglichen den Kontakt und fragen schon nach der weiteren Entwicklung, die abgewandte Körperseite bildet die Balance, jede Muskelfaser nimmt die Spannung oder Entspannung an, die vom Kontakt ausgeht. Und so geschieht die Improvisation, die nichts anderes ist als Spontaneität: das Fließen lassen im Wirkungsfeld des anderen Leibes. Vordergründig bestimmen physikalische Kräfte den Tanz: eine leichte Regung, schon ändert sich der Schwerpunkt, ich korrigiere meine Haltung, und so auch meine Tanzpartnerin. Und so flieht der Schwerpunkt weiter und jede Bewegung fordert eine Anpassung, eine neue Bewegung und das Spiel ist, ob im Kleinen oder Großen, sofort im Gange. Je länger dieses Spiel geht und je mehr wir uns darauf einlassen, desto mehr dehnen sich unsere Körperschemata aufeinander aus. Wie bei meinem eigenen Körper habe ich durch die Berührung und Bewegung eine Vorstellung des Schemas meiner Partnerin. Auch wenn ich sie nicht sehe, habe ich stets eine Ahnung wo und wie ihr Körper im Raum und zu mir steht und sich bewegt. Diese Ahnung ist unmittelbar leiblich abrufbar. So wie ich meinen Körper unvermittelt erlebe, erlebe ich ihren Körper in der Bewegung gleichsam mit. Dies wird insbesondere beim Fehlgehen der Ahnung anschaulich: Wenn dort Leere ist, statt des erwarteten Arms, oder wenn am Ende einer streichenden Bewegung nicht der Torso, sondern die Hand spürbar wird, bin ich irritiert. Meine Aufmerksamkeit geht aus dem Spüren in das Denken, aus der verleiblichten Wahrnehmung in die Kognition und ihr Körper fällt aus meinem Spürbewusstsein heraus – bis durch neue Orientierung und Gewöhnung ihr Schema wieder integriert wird und die Wahrnehmung ihres Körpers wieder in die Tiefe meines leiblichen Verstehens sinken kann. Je mehr dieses Vertrautsein der Körper wächst, desto mehr wird es ein leibliches Vertrautsein. Meine bewusste Aufmerksamkeit kann von der Ebene der Raumkoordination und der Bewegungsdynamik tiefer gehen zur Wahrnehmung des lebendigen Leibes, des Menschen. In ihrer Leiblichkeit erlebe ich meine Tanzpartnerin auf subtile Weise ganzheitlich. Ihre Leben ist eingeschrieben in ihren Körper und vielmehr noch in die Landschaft von Anspannung und Entspannung, von Bewegungsgewohnheiten spontanen Impulsen und Reaktionen. So wie ihr Leib biographisch geformt ist, drückt er sich auch im Hier und Jetzt aus. Und ebenso bei mir. In diesem Prozess der „Wechselwirkung von leiblichem Ausdruck, Gestik und affektiver Resonanz“ [4] begegnen wir uns subtil und notwendig authentisch, geraten in eine leibliches Mitschwingen: ein sich Zeigen und gleichzeitig sich Einschwingen und im Kontakt verändern. Ich bin nicht mehr der, der ich noch eben war und bin umso mehr ich, als ich mich in der Beziehung anrühren lasse. „Wer in der Beziehung steht, nimmt an einer Wirklichkeit teil, das heißt: an einem Sein, das nicht bloß an ihm und nicht bloß außer ihm ist.“ [5] Ich stehe in einer Verbindung in der ich leibe und dem gegenüber ein Du leibt [6]. Wer ist dieser Mensch, wer bin ich in dieser Beziehung? Eine Frage, die ihre Antwort findet im Befragen, im Lauschen, im Sich-Zeigen! Dieses Sich-Zeigen und auf die Beziehung lauschen geschieht im kleinen Moment des Jetzt – Bewegungen, fein oder grob, schnell oder langsam, fordern auf, mit der Wahrnehmung im Moment zu bleiben. Je mehr der eigene Körper und der gemeinsame Körper – verbunden durch Blick, Gehör und Berührung – selbstverständlich werden, also in eine vorbewusste Verfügbarkeit gleiten, gleichsam zuhanden (Heidegger) und damit transparent und unauffällig werden, desto mehr kann die Wahrnehmung anderweitig fließen. Gedanken können in die Umwelt oder nach innen abschweifen – doch ebenso in die Beziehung: in die Befragung der Begegnung. Dort wo wir eine Ahnung des gemeinsamen Körperschemas teilen, wir einander unmittelbar am eigenen Leib erfahren, und die Aufmerksamkeit auf das Zwischen-Uns gerichtet ist, geschieht Verbundenheit. Hier „fungiert der Körper als Medium der emotionalen Wahrnehmung“ [7] und der Tanz, die Gewöhnung aneinander, das Spüren und Handeln im Kontakt können den Raum zwischen uns dafür öffnen. Wer ist meine Tanzpartnerin? Eine offene Frage, die in ihrer Offenheit fesselnd und befreiend zugleich ist. „Der Zweck der Beziehung ist ihr eigenes Wesen, das ist: die Berührung des Du. Denn durch die Berührung jedes Du rührt ein Hauch des ewigen Lebens uns an.“ [8] 1 Martin Buber (1923) Ich und Du. Reclam (2008): S. 12 und S. 28. 2 Thomas Fuchs (2000) Leib, Raum, Person: Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie. Klett-Cotta S. 114. 3 Fuchs: S. 246. 4 Thomas Fuchs (2018) Zwischenleibliche Resonanz und Interaffektivität. Psychodynamische Psychotherapie , 4, S. 211. 5 Buber: S. 61. 6 Buber: S. 13. 7 Thomas Fuchs (2014) Verkörperte Emotionen – Wie Gefühl und Leib zusammenhängen. Psychologische Medizin 25. 8 Buber: S. 61.
von Frederic Holzwarth 08 Jan., 2020
2020-01
von Frederic Holzwarth 19 Dez., 2019
2019-10 Wenn in einer Klasse nach Übungen oder dem Ausprobieren eine längere Phase des Tanzens folgt, beobachte ich manchmal vornehme Zurückhaltung bei den Tanzenden. Ob aus Unsicherheit, dem Bedürfnis es richtig oder recht zu machen, oder dem noch nachwirkenden geistigen Verdauen, sei dahingestellt. Ich lade dann in die Unmittelbarkeit und die Direktheit ein: Ich ermutige die Tänzer.innen, sich nicht zurückzuhalten noch mehr noch „sich zuzumuten“. Mute dich zu: der Welt, den Menschen, deiner Tanzpartnerin, schließlich dir selbst! Halte dich nicht zurück in deinen spontanen Impulsen, in deinen Unsicherheit. Mute dich dem Moment zu, mute dich dem Unbekannten zu, mute dir selbst das Unbekannte zu. „Mute dich zu!“ rufe ich ihnen zu. Du sollst dich nicht vorenthalten. – Diese Formel finde ich später in einem Buch zu Gemeinschaftsbildung. Sie stammt von Martin Buber und bleibt mir hängen, Echo meiner Aufforderung sich zuzumuten. Er schrieb 1919 in einem Essay: „Uralter Wust und Mulm ist zwischen Mensch und Mensch gehäuft. Sinngeborne Form entartet zu Konvention, Ehrfurcht zu Mißtrauen, Keuschheit der Mitteilung zu geizender Verschlossenheit. Mitunter tappen die Menschen im bangen Rausch auf einander zu – und verfehlen sich, denn der Mulmhaufe ist zwischen ihnen. Räumt ihn hinweg, du und du und du! Stellet Unmittelbarkeit, aus dem Sinn formende, ehrfürchtige, keusche Unmittelbarkeit zwischen den Menschen her! Du sollst dich nicht vorenthalten.“ Und wiederholt dieses Mantra mehrfach in jenem Text (unter dem Titel „Was ist zu tun?“). Verstand es vor allem als sittlichen Aufruf, sich einzubringen, und als Aufruf in den Dialog, die „ich-du“ Beziehung zu gehen (so meine Deutung). Hier bedeutet es für mich das gleiche: zeige dich mit deinem ganze jetzt-so-Sein, laß es Ausdruck in Bewegung, Kraft und Spiel finden! CI kann für mich diese Unmittelbarkeit zwischen Menschen, zwischen mir und meiner momentanen, flüchtigen wie auch massiven Wirklichkeit, zwischen unseren Wirklichkeiten immer wieder ermöglich und aktualisieren. Welch‘ Geschenk und Forderung!
von Frederic Holzwarth 19 Dez., 2019
2019-09 Eine der besonderen Qualitäten, die ich im Tanz schätze und auch versuche im Unterricht zu vermitteln ist: jederzeit die Spannung in Bezug auf Intensität sowie Richtung und Entfernung zur Körpermitte hin modulieren zu können. Um so im Moment zu spüren: wie ich selbst ausgerichtet bin, wie meine Tanzpartner.in und wie wir im Bezug Raum und Boden sind. Und um reagieren zu können: stabil werden oder nachgeben, Absichten weiter verfolgen oder wieder loslassen, Richtungen während der Bewegung anpassen. Um Spannung aufzubauen und stabil zu werden: nur ganz in der Peripherie, näher zum Zentrum oder durch das Zentrum in den Boden. Um sich bewegen zu lassen, den eigenen Körper mit zu bewegen oder sich zu gründen, um Gewicht aufzunehmen. In der Bewegung bleibt möglichst viel losgelassen und weich, spürsam und beweglich. Gliedmaßen sind mehr Antennen und Schwungmasse als Struktur. Und können sich immer, wenn nötig anspannen, Struktur schaffen und bieten. Bewegen… Berühren, Bewerten, Belasten/Belassen, Bewegen… Steve Paxton (1977): „Tension in the muscle masks the sensation of gravity…“ Heike Pourian (2016): “Handeln und Spüren zugleich.”
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